Vom Wert des „Bauernseminars“ – Gedanken zum Kirchweihfest
Das Kirchweihfest greift immer über die Gegenwart hinaus. Es fragt nach den Anfängen und weist auf das Künftige hin: Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin?
Am 6. November 1983, vor 41 Jahren, hat Erzbischof Friedrich Wetter die Seminarkirche geweiht und das neu errichtete Gebäude seiner Bestimmung übergeben, der Priesterausbildung. Das neue Priesterseminar stand und steht in der Tradition des Freisinger Klerikalseminars, so wie es damals hieß. Doch immer hatte die Münchener Seminarausbildung zwei Standbeine: Für alle Seminaristen, die akademisch und pastoral weitergeführt werden sollten, gab es in München das Herzogliche Georgianum oder in Rom das Germanicum. Für alle Seminaristen, die später eher in den Landstädten oder auf dem Land eingesetzt werden sollten, war Freising der Bildungsstandort. Halb scherzhaft bezeichnete sich das damalige Freisinger Seminar daher als „Bauernseminar.“
So wenig schmeichelhaft das beim ersten Hinhören klingen mag, so hintersinnig ist der Titel bei genauerem Nachdenken. Er ist zutiefst biblisch. Jesus stellt ununterbrochen die Landwirtschaft auf die Bühne seiner Verkündigung: Der Sämann gehört ebenso zu seinen Hauptdarstellern wie der Winzer; auch der Barmherzige Vater ist seinem Beruf nach Bauer. Eine der wesentlichen Eigenschaften des Bauern ist, dass er sich nicht mit brotloser Kunst beschäftigen kann. Er muss immer danach sehen, was am Ende herauskommt. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“ (Mt 7,16) Das mag Programm genug sein für ein Priesterseminar: Wo wollen wir hin, was soll am Ende herauskommen?
Die Kirchweihlesung aus dem Buch des Propheten Ezechiel zeigt den Tempel als Bild, von dem heilendes Wasser ausfließt und ins Meer strömt. Das Wasser sorgt für frisches Grün, für Obstbäume und Pflanzen mit heilenden Blättern; die gesamte Szenerie ist bezaubernd und strahlt eine eigene Schönheit aus. Was sollen die Priester bewirken, die in diesem Haus ausgebildet werden, welche Früchte sollen sie tragen? Sie sollen den Menschen geistliche Nahrung bieten, frisches Obst und keine Tiefkühlkost. Die heilige Schrift, die Kirchenväter, die geistlichen Mütter und Väter des Glaubens, aber auch die Feier der Sakramente – unerschöpflich ist, was die Tradition der Kirche an Stärkung für die Seele bereithält; es muss nur immer wieder frisch zubereitet und angeboten werden. Die Priester sollen zur Heilung beitragen und nicht neue Spaltung bewirken: in den Besuchen am Krankenbett, bei der Seelsorge an Menschen in Trauer, aber besonders auch im Sakrament der Versöhnung. Eine verwundete Zeit sehnt sich so sehr nach Heilung. Und die Priester sollen in ihrem Leben die Schönheit des Glaubens, die Freude am Leben mit Christus ausstrahlen, auch wenn natürlich nicht jeder Tag voller Höhepunkte sein kann. Wer möchte nicht am Ufer des Flusses stehen, von dem Ezechiel berichtet, und die Landschaft auf sich wirken lassen?
Wo wollen wir hin, was soll am Ende herauskommen? Ein Bauer hat einen ziemlich hohen Anspruch an seine Ernte, denn sonst kann er nicht davon leben. So gesehen versteckt sich in der aus Freising geerbten, halb ironischen Selbstbezeichnung unseres Seminars als „Bauernseminar“ ein erheblicher Anspruch an die Priester, die wir hier ausbilden wollen: dazu beizutragen, die Seelen der Menschen zu stärken, zu heilen und froh zu machen.
Wo wir herkommen, daran erinnert uns jeder Besuch, den wir in Freising machen; daran erinnert uns die Korbiniansreliquie, die bei der Kirchweihe in den Altar der Seminarkirche eingefügt worden ist. Wo wir hingehen wollen, das können wir aus der heiligen Schrift selbst lebendig werden lassen; das ist Geschenk und Anspruch an uns zugleich.