Block 26 – Ein Ort ohne Gott? Ein Besuch der KZ – Gedenkstätte Dachau
Der eiskalte Wind, der über den Platz fegtund die damit einhergehende Leere ist das Erste, was man zu spüren bekommt, wenn man in diesen Tagen die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau betritt. Man möchte intuitiv seine Jacke oder seinen Mantel enger um sich legen, erinnert sich im selben Moment jedoch daran, dass knapp achtzig Jahre zuvor auf diesem „Apell-Platz“ knapp zehntausend Menschen dicht an dicht gedrängt in einer ähnlichen, wenn nicht sogar noch eisigeren Kälte ausharren mussten, während SS-Männer sie schikanierten, folterten und ermordeten.
Diese schmerzlichen Gedanken sind nur ein Bruchteil dessen, was wir vergangenes Wochenende verspürten, da unser Haus sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Erzbistums München und Freising beschäftigen sollte. Dabei lag der Fokus auf Priester und Ordensleute, die von der NSDAP inhaftiert wurden. Adventlich oder weihnachtlich mutet dies nicht an; der eine oder die andere wird sogar den Kopf schütteln, doch geht es in dieser Zeit des lebendigen Erinnerns an die erste Ankunft Christi in der Welt vielleicht genau darum, den Finger in die Wunden der Menschheit zu legen.
Denn gesamtgesellschaftlich nehmen wir immer weiter das Vergessen wahr, welches sich metastasenähnlich ausbreitet und die Sinne befällt, wobei man doch meinen sollte, dass im Angesicht der Kriege in der Ukraine, dem Nahen Osten oder den südlichen Gefilden, die Erinnerung an die Grauen des Holocausts‘ und der Shoah präsenter denn je sein müsste.
So begann unser thematisches Hauswochenende mit einem Blick in das Archiv unserer Erzdiözese. Dr. Roland Götz führte dabei verschiedene Primärquellen aus den Kriegsjahren und der Nachkriegszeit aus den Pfarreien des Erzbistums auf. Zunächst hielten wir scheinbar totes Papier in Händen, doch sprachen und schrien die ehemaligen Häftlinge der Konzentrationslager durch ihre Zeitzeugnisse zu uns, die Gräueltaten und Verbrechen gegen das Mensch-Sein nie zu vergessen. Besonders eindrücklich war die Korrespondenz zwischen dem (inzwischen umstrittenen) Erzbischof Münchens Kardinal Faulhaber und Johannes Neuhäusler, die das Leid des Arbeitslagers Dachau vor Augen führte.
Als wir nun also am folgenden Tag an eben jenen Stellen standen, die Neuhäusler geschildert hatte, fragte man sich wohl: War das KZ Dachau wirklich ein Ort ohne Gott? Judith Einsiedel führte uns als Seelsorgerin vor Ort durch die Gedenkstätte und ließ die ehemaligen Priesterhäftlinge durch weitere Textdokumente zu uns sprechen. Nachdem wir das Haupthaus, den Bunker mit den Isolationszellen und den Apell-Platz besichtigt hatten, kamen wir am ehemaligen Block 26 zum stehen; die Baracke, in welcher über knapp zwölf Jahre kontinuierlich Priester und Ordensleute inhaftiert waren und ihr Leben ließen. An der Stelle, wo heute der Gedenkstein mit der eingravierten Nummer „26“ steht – so erfuhren wir – war über die Kriegsjahreeine Barackenkapelle, ein behelfsmäßiger Tabernakel mit dem Allerheiligsten und eine Marienstatue entstanden.
Und so wurde auch unserer aller Frage, wo denn Gott in diesen dunkelsten Momenten der Menschheit war, beantwortet:
ER war da.
Genauso inhaftiert wie die Häftlinge des KZ Dachaus undgenauso gefoltert wie die Häftlinge des KZ Dachaus – wie es auch etliche Häftlinge, darunter der Benediktinerpater Sales Hess später berichten würden.
Aber immer da – selbst auf dem Todesmarsch in den letzten Kriegstagen 1945.
Diesen Klarblick durften wir alle erhalten, wie auch erkennenund so vielleicht mit dem Blick auf Weihnachten feststellen, dass das Kind in der Krippe gekommen ist, um sein Volk selbst in Leid, Tod und Rechtlosigkeit nicht zu verlassen.
Schließlich hat diese schnörkellose Barackenkapelle an einem Ort der Nacht, soviel Licht gespendet, dass wir noch heute, jetzt in diesem Moment des Déjà-vus an anderen Erdteilen davon zehren können.
An dieser Stelle möchte ich noch anfügen, dass man hier so viel mehr schreiben könnte, doch fehlen uns und mir nach wie die Worte, das Gehörte, Erlebte und Verspürte zu verschriftlichen.
#gegendasvergessen
#niewieder