Erstellt am 29. Juni 2012 von FJB

Römische Leitlinie zur Berufungspastoral

Vor wenigen Tagen hat die römische Bildungskongregation ein Dokument zur Berufungspastoral veröffentlicht: „Pastorale Leitlinien zur Förderung der Berufungen zum Priesteramt“. Ich will hier keine Zusammenfassung geben, denn der Text ist nicht übertrieben lang und verdient, ganz gelesen zu werden. Aber ich nenne fünf Punkte, warum es die Leitlinien  in meinen Augen verdienen, beachtet, gelesen und beherzigt zu werden.

1) „neue kirchliche Situation“ (Nr. 2)

Die Leitlinien weisen in die Zukunft, weil sie mit einer neuen kirchlichen Situation rechnen, die sich abzeichnet. Nicht das Aufrechterhalten bestimmter Formen von Gemeindeleben, sondern die Neuevangelisierung ist es, wofür die Priester gebraucht werden. Ohne Ressentiment, sondern „mit Mut und Ehrlichkeit“ (Nr. 2) wird die Situation der Kirche betrachtet und werden die Belastungen beim Namen genannt: Geburtenrückgang, materialistisch-konsumistische Lebensstile, Kultur der Unverbindlichkeit, religiöse Gleichgültigkeit. Doch als Antwort auf eine Welt voll Unverständnis gegenüber dem Zeugnis der Kirche wird vorgeschlagen, sich Gott anzuschließen, der „mit unendlicher Sympathie auf die Welt“ blickt, seiner Gegenwart in der Geschichte zu vertrauen und seine Liebe neu zu verkünden (Nr. 12). Das ist eine Bekehrung hin zur Zukunft Gottes, die ich gern mitvollziehe.

2) „auch einige Wachstumssignale“ (Nr. 2)

Meist wird geklagt über den Traditionsabbruch, den Glaubensverlust, den Priestermangel, die Depression und den lähmenden Richtungsstreit in der Kirche. Da gehen leicht die vitalen Punkte unter, an denen man sehen und lernen kann, wie das Evangelium Frucht bringt, der Glaube wächst und die Mission ans Ziel kommt. Die Leitlinien weisen auf solche vitalen Punkte hin, die einen förderlichen Kontext für Berufung bilden: persönliche Vorbilder (Nr. 3), lebendige Pfarreien (Nr. 14), junge missionarische Gemeinschaften (Nr. 15), Schulen intensiven christlichen Lebens, Gebetskreise, sozial-caritative Freiwilligenarbeit (Freiwilliges Soziales Jahr; Missionar auf Zeit). Ich habe tatsächlich schon eine Menge guter Früchte solcher einzelnen und besonderen Initiativen gesehen und bin überzeugt, dass da noch viel ausbaufähiges Potential vorhanden ist.

3) „Priesteramt vom trinitarischen Leben gekennzeichnet“ (Nr. 7)

Klare Sätze zur theologischen Begründung des Weihepriestertums sind mir immer willkommen. Mit bewundernswerter Stringenz setzt das Dokument bei der Liebe Gottes an (Nr. 5), zieht eine christologische Linie zum Priestertum (Nr. 6), bringt durch Bezugnahme auf die Dreifaltigkeit die Aspekte von kirchlicher Gemeinschaft und missionarischer Dynamik mit hinein (Nr. 7) und landet bei der menschlichen Entwicklung des zum Priester Berufenen (Nr. 8). Eine tief gründende, ausgewogene, in aller Knappheit vollständige  Systematik der geistlichen Berufung! Allenfalls zum Heiligen Geist hätte man etwas mehr sagen können.

4) „ganzheitliche und harmonische Bildung der Person“ (Nr. 15)

Durchgängig steht den Leitlinien die reife Persönlichkeit des Priesters als Bildungsziel vor Augen. Jemand, der nicht festgefahren und fixiert ist, sondern lernt und sich entwickelt: Die Antwort auf den Ruf Gottes gründet „auf einer voranschreitenden Harmonisierung der verschiedenen Komponenten einer Persönlichkeit …: der menschlichen und christlichen, der persönlichen und gemeinschaftlichen, der kulturellen und pastoralen.“ (Nr. 8). Es ist jemand, der Verantwortung übernimmt (Nr. 8). Er ist jemand, der seine „Person in ihrer Gesamtheit und Vollständigkeit“ (ebd.) entfaltet und lebt, und dazu gehört die Tiefe des Affektiven ebenso wie der Sensus für die göttliche Transzendenz. Das ist ein Bildungskonzept, das groß denkt vom Menschen, das Freiheit kennt und Vertrauen, das leben lässt und Ansprüche stellt. Es ist lohnend und motivierend, sich daran auszurichten.

5) „mutig jede Form von Partikularismus aufgeben“ (Nr. 10)

Die Leitlinien stellen die priesterliche Berufung dezidiert in den kirchlich-gemeinschaftlichen Kontext und grenzen sich ab gegen „individualistische Abweichungen“ (Nr. 8). Ziemlich scharfe Formulierungen der Selbstkritik, wie man sie selten in römischen Dokumenten liest, prangern „neue Formen von Klerikalismus“ oder „eine auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Auswahl an Diensten“ an. Tatsächlich macht uns der rücksichtslose Individualismus und Egoismus bis in die intimsten Bereiche des kirchlichen Lebens hinein zu schaffen, z.B. wann und wie die Eucharistie gefeiert wird. Nur allzu leicht bedienen sich höchst private Interessen höchst frommer Beteuerungen. Deshalb pflichte ich von Herzen dem Ziel bei, „gemeinschaftsfähige und missionarische Menschen heranzubilden, die bereit sind, sich vom Neuen Gebot (Joh 13,34), der Quelle der Spiritualität der Gemeinschaft inspirieren zu lassen“ (Nr. 7), konkret: „mit der ganzen christlichen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, sich mit ihr zu konfrontieren und jede Berufung wertzuschätzen“ (Nr. 10), auch „die verantwortliche Beteiligung der gläubigen Laien“ (ebd.).

Lust, das Dokument ganz zu lesen? Hier ein Link auf die deutsche Übersetzung von Radio Vatikan: www.radiovaticana.va/ted/articolo.asp?c=599541.

 

Regens Msgr. Dr. Franz Joseph Baur